Wohnraumzweckentfremdung

Gewerbliche Nutzung von Wohnraum – nach der Aufhebung des Verbots über die Wohnraumzweckentfremdung


I. Aufhebung des Verbotes der Zweckentfremdung


Das Hessische Gesetz über das Verbot von Wohnraumzweckentfremdung gilt aufgrund der Verordnung zur Aufhebung des Verbots der Wohnraumzweckentfremdung von Wohnraum (lt. Beschluss der Hessischen Landesregierung vom 03.05.2004) seit dem 27. Mai 2004 nicht mehr.

Durch die Aufhebung der Zweckentfremdungsverordnung werden aber lediglich die wohnungswirtschaftlichen Beschränkungen aufgehoben, die baurechtlichen Vorschriften gelten weiterhin.

Unabhängig davon bedarf die Nutzungsänderung eines Wohn- oder Gewerberaumes nach § 62 Abs. 1 der Hessischen Bauordnung weiterhin grundsätzlich einer Baugenehmigung.
Ob eine Baugenehmigung im Einzelfall erforderlich ist und welche Unterlagen dem Antrag gegebenenfalls beizufügen sind, sollte telefonisch beim zuständigen Bauamt erfragt werden.


II. Auswirkungen der Aufhebung des Verbots der Zweckentfremdung


1. Was bedeutet die Aufhebung für bestehende Beschränkungen?


Bei der Nutzungsuntersagung in Form eines Verwaltungsaktes:

Sofern die Untersagung einer Zweckentfremdung in Form eines Verwaltungsaktes bereits ergangen ist, bedeutet dies, dass der Verwaltungsakt zwar nach wie vor bestandskräftig, aber seit dem 27.05.2004 durch die Aufhebungsverordnung materiell gegenstandslos ist. Das bedeutet, dass die Untersagung nicht mittels eines neuen Verwaltungsaktes durch die Wohnungsbehörde aufgehoben werden muss, sondern Nutzungsänderungen ausschließlich bei der zuständigen Baubehörde (siehe Punkt III.) beantragt werden müssen.


Bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag:

Wenn die gewerbliche Nutzung durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Wohnungseigentümer und dem Wohnungsamt untersagt worden ist, ist der Vertrag auch grundsätzlich nach dem 27.05.2005 gültig. Jedoch kann der Wohnungseigentümer die Anpassung des Vertrages oder seine Aufhebung verlangen. In beiden Fällen sollte sich der Eigentümer aufgrund der Komplexität der Verfahren Rechtsberatung einholen.

2. Was bedeutet die Aufhebung für neue Vorhaben?


Wenn eine Wohnung gewerblich genutzt werden soll, muss der Wohnungseigentümer die Nutzungsänderung bei der zuständigen Baubehörde (siehe III.) beantragen, der Weg zum Wohnungsamt entfällt.


III. Zulässigkeit nach dem Baurecht


Grundsätzlich muss für die gesamte Nutzungsänderung eines Wohnraums eine Baugenehmigung beantragt werden, außer es handelt sich um eine baugenehmigungsfreie Nutzungsänderung. Liegt keine genehmigungsfreie Nutzungsänderung vor, muss in der Regel auch bei teilweisem gewerblich oder geschäftlich genutzten Wohnraum ein Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung bei der Bauaufsichtsbehörde gestellt werden, weil es sich hier um eine Nutzungsänderung nach dem Baurecht handelt.

1.) Rechtsgrundlagen


Die Nutzungsänderung bedarf grundsätzlich einer Baugenehmigung nach § 62 Abs. 1 Hessische Bauordnung (HBO). Dies wird von der Bauaufsichtsbehörde geprüft. Ist eine Nutzung nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zulässig, erteilt die Bauaufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen eine Baugenehmigung.

Der Begriff "Nutzungsänderung" ist gesetzlich nicht definiert. Nach der weit auslegungsfähigen Kommentierung liegt eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung schon dann vor, wenn sich die neue Nutzung von der bisherigen Nutzung so unterschiedet, dass sie anderen oder weitergehenden Anforderungen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen sein kann.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass von der Rechtsprechung jede Änderung der Auswirkungen auf die Umwelt als Nutzungsänderung interpretiert wird. Dies können z.B. veränderte Emissionen oder Änderungen im Publikumsverkehr sein.

Gemäß § 62  HBO bedarf es unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Nutzungsänderung von Wohnraum keiner Baugenehmigung mehr. Notwendig ist dann nur noch, dass die erforderlichen Bauvorlagen (Unterlagen über die Nutzungsänderung) der Bauaufsichtsbehörde und in kreisangehörigen Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern der Gemeinde als Zweitschrift zugeleitet werden. Wenn die Gemeinde nicht bereits vorher schriftlich mitteilt, dass ein Genehmigungsverfahren nicht durchzuführen ist, kann die Nutzungsänderung spätestens einen Monat nach Eingang der Bauvorlagen bei der Gemeinde vorgenommen werden.

Unter folgenden Voraussetzungen ist eine Nutzungsänderung von Wohngebäuden und sonstigen Gebäuden der Klassen 1-3 baugenehmigungsfrei:

  1.  Das Gebäude muss sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes nach § 30 Abs. 1 BauGB befinden, d.h. der Bebauungsplan muss zumindest Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung enthalten.
  2. Die Nutzungsänderung bedarf keiner Ausnahme oder Befreiung nach § 31 BauGB.
  3. Die Erschließung muss gesichert sein.
  4. Die Nutzungsänderung bedarf keiner Abweichung nach § 73 HBO (d.h. die Änderung würde zwar von den Vorschriften der HBO abweichen, sie könnte von der Bauaufsichtsbehörde aber trotzdem zugelassen werden).
  5. Die Gemeinde darf nicht innerhalb von einem Monat nach Eingang der Bauunterlagen die Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens verlangen.


2.) Wann benötigt man für die teilweise gewerbliche oder geschäftliche Nutzung von Wohnraum keine Baugenehmigung?


Dieser Sachverhalt ist gesetzlich nicht definiert. Jedenfalls dürften die Fälle einer „teilweisen geringfügigen gewerblichen oder geschäftlichen Mitbenutzung nicht baugenehmigungspflichtig sein.

Beispiel: Ein Anwalt nutzt sein Arbeitszimmer sowohl für Wohnzwecke als auch für seine Anwaltstätigkeit; bei einer gewerblichen Tätigkeit als Büroservice wird auch meist nur ein Teilbereich mitbenutzt, z. B. Aufstellen eines PC-Tisches im Wohnzimmer.

Genehmigungsbedürftig ist in der Regel die Änderung von der Art der Nutzung, z.B. von Wohnnutzung zu gewerblicher Nutzung oder umgekehrt.
Bei zulässigen Nutzungen nach der Baunutzungsverordnung wird eine Baugenehmigung erteilt. Welche Nutzungen in den verschiedenen beplanten Baugebieten zulässig sind, ist in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) geregelt. In reinen Wohngebieten ist generell nur das Wohnen und über § 13 BauNVO die Berufsausübung freiberuflich und vergleichbar Tätiger zulässig. In allgemeinen Wohngebieten ist ausnahmsweise, in Mischgebieten regelmäßig auch die Ausübung von nicht störendem Gewerbe zulässig.


IV. Zulässigkeit einer freiberuflichen Tätigkeit in Wohnräumen


Da rein gewerbliche Tätigkeiten in Wohngebieten nur ausnahmsweise zulässig sind, dürfte der Frage nach der Zulässigkeit freiberuflicher und ähnlicher Tätigkeiten in der Praxis die größere Bedeutung zukommen.

Die Nutzung von Wohnraum durch Freiberufler oder vergleichbar Tätige ist unter den Voraussetzungen des § 13 BauNVO zulässig.
Freiberuflich tätig sind diejenigen Personen, die auf eigene Rechnung selbständig arbeiten und deren Tätigkeit weder eine gewerbliche im Sinne der Gewerbeordnung ist, noch im öffentlichen Dienst erfolgt.
Darunter fällt z. B. die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Ingenieure, Architekten, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Buchprüfer, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Journalisten, Dolmetscher, Übersetzer und ähnlicher Berufe. Obwohl keine „freien Berufe“, gelten als „ähnliche Berufe“ nach der BauNVO z. B. der Masseur, Bademeister, Fußpfleger, Hebamme, Krankenschwester, Hausverwalter, Handelsvertreter ohne Auslieferungslager, Handelsmakler, Versicherungsagent.

Hinweis: Bei allen Tätigkeiten nach § 13 Baunutzungsverordnung kann es sich um eine Nutzungsänderung handeln, die grundsätzlich einer Baugenehmigung nach § 62 HBO bedarf. Dies gilt in der Regel dann, wenn ein Raum ausschließlich als Büro genutzt wird. Indiz dafür kann das Aushängen eines Firmenschildes sein.


V. Unzulässige Nutzungen in Einzelfällen z. B. bei Störungen


In der Planungspraxis ist es nicht hinreichend bestimmt, ab wann und aus welchen Gründen eine Nutzung von Räumen im Rahmen des § 13 BauNVO im Einzelfall unzulässig sein kann.

Nach § 15 BauNVO sind Nutzungen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden, z. B. auch bei starkem Zu- und Abgangsverkehr.