Bodenpolitische Instrumente und Wohnungsbaustrategien für Frankfurt am Main

Stadtrat Mike Josef (SPD) und IHK-Präsident Ulrich Caspar im Interview zum Thema "Bodenpolitische Instrumente und Wohnungsbaustrategien für Frankfurt am Main".
Frankfurt am Main konnte in den letzten Jahren enorme Einwohnerzuwächse verzeichnen, wodurch die Nachfrage nach Wohnraum entsprechend gestiegen ist. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Stadt dar?
Mike Josef: Das hängt stark davon ab, wie viel Geld ein Wohnungssuchender in der Tasche hat. Der Wohnungsmarkt boomt jedenfalls. Seit 2016 wurden insgesamt 24.000 Baugenehmigungen erteilt und über 15.000 Wohnungen fertiggestellt. Bezogen auf die letzten zehn Jahre haben wir bei der Anzahl der genehmigten Wohnungen 2018 den besten und 2019 den drittbesten Wert erreicht. Die enorme Entwicklung der Mietpreise hat sich dadurch etwas entschärft, wodurch Frankfurt im bundesweiten Vergleich nicht mehr den Spitzenplatz belegt. Das ist eine gute Nachricht. Fest steht aber, dass der Frankfurter Wohnungsmarkt immer noch von Engpässen geprägt ist – insbesondere im bezahlbaren bzw. preiswerten Segment.
Ulrich Caspar: Im IHK-Bezirk Frankfurt am Main sind seit der Jahrtausendwende knapp 170.000 neue Stellen entstanden. Das bedeutet konkret einen Zuwachs von rund 146.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und 133.000 Einwohnern. Laut der vom Hessischen Statistischen Landesamt veröffentlichten Bevölkerungsprognose werden bis zum Jahr 2040 noch einmal 147.000 Personen hinzukommen. Grundsätzlich ist diese Entwicklung zu begrüßen, denn alleine im Bezirk der IHK Frankfurt fehlen bereits heute etwa 74.000 Fachkräfte. Die Herausforderung ist und bleibt der angespannte Wohnungsmarkt, welcher mit dieser Wachstumsdynamik nicht Schritt halten konnte. Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2018 wurden in Frankfurt am Main und den beiden Landkreisen rund 71.000 Wohnungen gebaut. Wir sehen also nach wie vor erheblichen Bedarf an Wohnraum, vor allem für dringend benötigte Fachkräfte.
Wäre es aus Sicht der IHK möglich, dass sich der Beschäftigungsboom durch die Pandemie abflacht und damit auch die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt nachlässt?
Ulrich Caspar: Die Wirtschaft in der Region ist stark von der Krise betroffen, weil unser Wirtschaftsstandort sehr international ausgerichtet ist. Doch wir sind auch krisenerfahren und wissen, dass anschließend wieder ein Aufschwung kommt. Wenn die Konjunktur wieder anzieht und sich abzeichnet, dass wir im nächsten Jahr aus der Talsohle herauskommen, wird sich an der Wohnungsnachfrage wenig verändern.
Mit welchen konkreten Maßnahmen ließe sich für die jeweils beschriebene Situation effektiv Abhilfe schaffen?
Ulrich Caspar: Wir brauchen Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Wohnungsbauprojekten begünstigen und keinen Katalog an politischen Instrumenten, die den Neubau unnötig erschweren. Durch die Mietpreisbremse und Deckelung von Mietpreisen wird jedenfalls kein neuer Wohnraum geschaffen. Um mehr bezahlbare Wohnungen zu bauen, fehlt es vor allem an baureifen Grundstücken. In der raschen Baulandentwicklung sehen wir deshalb eine der zentralen kommunalen Aufgaben, die wir unterstützen und voranbringen möchten. Daher haben wir zu Jahresbeginn eine entsprechende Resolution für mehr Bauland in FrankfurtRheinMain auf den Weg gebracht, welche von 22 Organisationen – darunter u. a. Wirtschaftskammern, Hochschulen, Gewerkschaften sowie Eigentümer-, Mieter- und Vermieterverbände – mitgetragen wird.
Mike Josef: Es müssen viele Rädchen ineinandergreifen, damit wir das Ziel erreichen, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Dafür braucht es einen Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Die Schaffung von Bauland ist ein zeitintensiver Prozess. Mit unserer Nachverdichtungsstrategie, können wir in bestehenden Siedlungen – wie zum Beispiel die Platensiedlung – zügig neuen Wohnraum schaffen. Mittel- bzw. langfristig brauchen wir natürlich mehr Bauland. Zudem gilt es Maßnahmen für diejenigen zu ergreifen, bei denen die Not am größten ist. Dazu zählen u. a. die Haushalte mit mittlerem Einkommen. Zwar sind durch unser Förderprogramm für mittlere Einkommensbezieher in dem Marktsegment viele neue Wohnungen entstanden, doch einige davon haben lange keine Abnehmer gefunden, weil das Matching zwischen Vermieter und Mieter nicht einwandfrei funktioniert hat. Dafür haben wir jetzt auf der Seite www.frankfurt-fairmieten.de eine Lösung entwickelt, die Wohnungssuchende und Eigentümer unkompliziert zusammenbringt.
Durch die Pandemie haben sich die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gravierend verändert. Alles deutet auf ein rezessives Marktumfeld hin, das auch auf den Immobilienmärkten Spuren hinterlassen wird. Welche Auswirkungen hat dies auf die Wohnungsbaupolitik bzw. -strategie der Stadt? Werden Anpassungen in Betracht gezogen?
Mike Josef: Wir alle wissen, dass Prognosen ihre Eigenheiten haben. Aus heutiger Sicht besteht für uns jedenfalls kein Anlass, von dem eingeschlagenen Kurs abzuweichen. Nach wie vor ist es unsere zentrale Aufgabe, ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot an Wohnraum zu schaffen. Denn 2019 verzeichneten wir einen Zuwachs von 11.000 Einwohnern. Hinzu kommt noch der Nachfrageüberhang aus den vergangenen Jahren. Es ist also gerade jetzt wichtig, preiswerten Wohnraum zu schaffen – und zwar nicht nur im geförderten, sondern insbesondere im freifinanzierten Bereich. Der Baulandbeschluss zielt genau darauf ab.
Teilt die IHK diese Einschätzung?
Ulrich Caspar: Grundsätzlich begrüßen wir eine aktive Baulandausweisungs- und Wohnbauförderungspolitik der Stadt, sofern diese zu einer erhöhten Neubautätigkeit führt. Moderate und realisierbare Quotenmodelle zur Schaffung von geförderten Wohnungen müssen ja nicht per se falsch sein. Im sogenannten Baulandbeschluss – es handelt sich ja um eine Wohnbaueinschränkung – sehen wir allerdings keinen Beitrag für eine zukunftsorientierte Baulandpolitik. Ganz im Gegenteil!
Beim Baulandbeschluss scheiden sich die Geister. Er sorgt in der Immobilienbranche nicht nur für Verunsicherung, sondern auch für Unverständnis – insbesondere die Berechnungen nachzuvollziehen bzw. aufgrund der Vorgaben ein Projekt überhaupt kalkulieren zu können, bereitet den Projektentwicklern erhebliche Schwierigkeiten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es mitunter, der Beschluss sei „nicht zu Ende gedacht“, die Stadt sei „zu gierig“. Können Sie die Kritik nachvollziehen?   
Mike Josef: Die Erfahrungen, die andere Städte mit der Einführung einer sozial gerechten Bodennutzung gemacht haben, zeigen, dass es bei weitreichenden Veränderungen ganz normal ist, wenn es anfangs ruckelt. In München hat die Debatte fünf Jahre gedauert und trotzdem wurde nicht aufgehört zu bauen. Ich bin da ganz pragmatisch. Sicherlich müssen wir evaluieren, was sich bewährt und was nicht. Es wird seine Zeit brauchen, bis sich das einspielt. Entscheidend ist jedoch, dass wir mit dem Baulandbeschluss vernünftige Rahmenbedingungen für die Bodenentwicklung haben und gleichzeitig Transparenz herstellen. Denn damit sind die formulierten Anforderungen für alle gleich. Gleichwohl haben und werden wir weiterhin mit den Marktteilnehmern gezielt das Gespräch suchen. Ich habe großes Interesse daran, es immobilienökonomisch nachzuvollziehen, wenn jemand auf dem Standpunkt steht, die Anforderungen seien zu hoch, das Projekt würde sich nicht mehr rechnen. Aber nochmal: Der Baulandbeschluss ist nur ein Instrument von vielen, das wir einsetzen, um planungs- und wohnungspolitisch gegenzusteuern.
Ulrich Caspar: Uns geht es um mehr und auch günstigen Wohnraum. Aus Sicht der IHK wird diese – nicht mehr in die Zeit passende – Überregulierung viele Investoren hindern, in Frankfurt Wohnungen zu bauen. In München wurde zwar nicht aufgehört zu bauen, aber erheblich zu wenig, da viele Investoren stattdessen im Umland investieren. Das Ergebnis sind höchste Mieten in Deutschland. Von München lernen, heißt aus Fehlern lernen. Die Vorgaben zu preisreduzierten Wohnungen führen zu Einnahmeverlusten, die an anderer Stelle – über eine Erhöhung der Preise für die freifinanzierten Wohnungen – kompensiert werden müssen. Das erhöht sogar noch die Mieten im Mietspiegel.
Wäre es angesichts der veränderten Rahmenbedingungen nicht besser, das Instrumentarium noch mal im Dialog mit der Branche fein zu justieren?   
Ulrich Caspar: Die mit diesem Instrument einhergehenden Restriktionen sind ein völlig falsches Signal und kontraproduktiv für die Erholung nach der Krise. Wir plädieren daher für eine Aussetzung bis mindestens zum Sommer 2021. Die Zeit könnte sinnvoll genutzt werden, um die Inhalte im Dialog mit den betroffenen Unternehmen zu überprüfen und zu überarbeiten.
Mike Josef: Es wäre nicht zielführend den Beschluss noch mal aufzuschieben. Ganz im Gegenteil! Meines Erachtens ist es gerade jetzt wichtig, ein Zeichen dafür zu setzen, dass die Bodenpreise nicht ins Unermessliche steigen. Ich erhoffe mir zudem, eine stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Insbesondere für Bestandhalter wurde der Zugang auf den Markt in den letzten Jahren immer schwieriger. Diese werden mit dem Baulandbeschluss gestärkt und mit den Genossenschaften und Baugruppen ebnen wir neuen Akteuren den Weg.
Sie stimmen sicherlich darüber ein, dass die Lösung des Wohnungsproblems im Boden liegt. Bauland ist aber gerade in Frankfurt der limitierende Faktor. Wie realistisch ist es, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre im Frankfurter Nordwesten neuer Wohnraum entsteht?
Mike Josef: Ich gehe fest davon aus, dass wir dort den neuen „Stadtteil der Quartiere“ entwickeln.
Ulrich Caspar: Es gibt eine Knappheit an Bauland. Wir begrüßen deswegen auch den geplanten neuen „Stadtteil der Quartiere“. Wir brauchen aber mehrere solcher Gebiete in Frankfurt und in der Region. Daher unterstützen wir Kommunen und Bürgermeister, die sich der Herausforderung stellen, die mit solchen Flächenentwicklungen verbunden sind. Denn ohne Fortschritte in der Baulandausweisung und Baurechtschaffung werden Flächen für Wohnungen, Gewerbe, Industrie und Verkehrswege knapp und das gefährdet die Prosperität der Region insgesamt.
Herr Josef, wird es eher die große oder die kleine Lösung geben?
Mike Josef: Stadtplanung muss man langfristig denken. Die Entwicklung des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts 2030+ hat gezeigt, dass die Möglichkeiten innerhalb der Stadt begrenzt sind. Wir werden also im östlichen Teil anfangen. Es ist allerdings nur eine Frage der Zeit und der weiteren Bevölkerungsentwicklung, ob und wann auch der westliche Teil entwickelt wird. Es kann aber nicht sein, dass das Umland nur Gewerbeflächen ausweist und in Frankfurt der Wohnraum und Infrastruktur entstehen soll. Wir wollen das Wachstum der Region jedenfalls mit ihr gemeinsam gestalten. Mit einem konkreten, gemeinsamen Projekt, beispielsweise westlich der A 5, könnte man deutlich machen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Dies kann auch im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung erfolgen.
Zum Schluss eine Frage zum Verhältnis „Wirtschaft und Politik“: Die IHK Frankfurt am Main bringt sich regelmäßig auch in die Debatten zur Stadtentwicklung ein und sucht den kontinuierlichen Austausch mit den Vertretern der Stadt. Empfinden Sie das als Bereicherung und/oder als Einmischung?
Mike Josef: Für mich ist das eher der Normalzustand. Ich erwarte sogar von einer IHK, dass sie sich in die Debatten einbringt. Durch den Austausch erfahre ich mehr über die Erwartungshaltungen unterschiedlicher Interessensgruppen und lerne auch, die Hintergründe besser zu verstehen. Natürlich muss ich aber dabei meine Ziele im Blick behalten.
Herr Präsident, was erwartet die IHK beim Thema „Wohnraumversorgung“ jetzt ganz konkret von den politischen Akteuren?
Ulrich Caspar: Um den Herausforderungen auf dem angespannten Wohnungsmarkt zu begegnen, muss sich das Angebot durch die Ausweisung von mehr Bauland und mehr Baurecht erhöhen. Vor allem nach Ende der Krise benötigen wir positive Signale, die zur Investitionsbereitschaft auf dem Wohnungsmarkt beitragen. Deregulierung wäre jetzt das Gebot der Stunde, viele Satzungen kommen noch aus einer anderen Zeit.