Interview zur Veröffentlichung des Wohnungsmarktberichtes 2022|2023

Interview mit Helmut Christmann, Vorstandsvorsitzender der Frankfurter Immobilienbörse bei der IHK Frankfurt am Main, zur Veröffentlichung des aktuellen Wohnungsmarktberichtes 2022|2023
Herr Christmann, die letzten Monate waren eine Berg- und Talfahrt für viele Branchen – Wie ist die Stimmung in der Bau- und Immobilienwirtschaft?
In den letzten Monaten haben sich die Ereignisse für die Bau- und Immobilienwirtschaft überschlagen. Die Nachwirkungen der Coronapandemie, der Ukraine-Krieg, volatile Lieferketten, die zu verschobenen Fertigstellungsterminen auf den Baustellen gesorgt haben, explodierende Baupreise und ein steigendes Zinsniveau: In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Branche aktuell. Während die Konjunkturdaten der IHK Frankfurt am Main aus dem Herbst 2022 für die Bau- und Immobilienwirtschaft noch die historisch tiefsten Stände seit 2014 aufwiesen, zeigen die aktuellen Konjunkturergebnisse zum Jahresbeginn 2023 eine leichte Aufwärtstendenz. Von einer Entwarnung kann aber keine Rede sein, denn die Unternehmen bewerten ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung in Summe immer noch überwiegend negativ.
Was sind für die Unternehmen die größten Risikofaktoren?  
Haupttreiber dieser Entwicklung sind für rund 73 Prozent der Unternehmen der Baubranche und 66 Prozent der Immobilienunternehmen die Energie- und Rohstoffpreise. Der Fachkräftemangel, ein seit Jahren strukturelles Problem in der Bauwirtschaft, ist für 71 Prozent der Betriebe ein Risikofaktor. Bei den Unternehmen der Immobilienwirtschaft geben mehr als die Hälfte der Unternehmen an, dass ihnen die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – insbesondere die Inflation, das Zinsniveau und die aktuelle Zurückhaltung auf dem Kaufimmobilienmarkt – Sorgen bereiten. Die Inflation lag im Jahr 2022 in Deutschland im Schnitt bei 7,9 Prozent. Insbesondere Energieprodukte waren ein Inflationstreiber – so stiegen die Preise für Erdgas um knapp 65 und für Kraftstoffe um rund 27 Prozent an. Dazu kommt die europäische Zinspolitik: Nach einer langen Phase der Nullzinsentwicklung hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins zwischen Juli 2022 und Februar 2023 in mehreren Schritten auf drei Prozent angehoben – weitere Erhöhungen im Laufe des Jahres sind wahrscheinlich. Das wiederum hat für eine Vervierfachung der Bauzinsen gesorgt. Für eine Standardfinanzierung wurde im Januar 2022 noch etwa ein Prozent fällig, Mitte Oktober erreichte das Niveau den bisherigen Peak mit mehr als vier Prozent, gegen Jahresende folgte eine leichte Abwärtsbewegung auf aktuell 3,8 Prozent. In Summe bedeutet das, dass die monatlichen Belastungen für Baufinanzierungen für die Haushalte enorm gestiegen sind.
Welche Auswirkungen hatten die konjunkturellen Entwicklungen auf den Wohnimmobilienmarkt im IHK-Bezirk Frankfurt am Main im Jahr 2022?
In den letzten Monaten ist die Nachfrage in einigen Bereichen auf dem Wohnimmobilienmarkt im IHK-Bezirk um zum Teil 80 Prozent und mehr eingebrochen, was sich in wesentlich längeren Vermarktungszeiten und zuletzt stark gesunkenen Verkaufszahlen widerspiegelte. Wir haben zu Jahresbeginn eine Umfrage unter den Mitgliedern der Frankfurter Immobilienbörse mit folgendem Ergebnis durchgeführt: Während die Nachfrage zum Jahresende eingebrochen ist, geben mehr als die Hälfte der Unternehmen an, dass parallel das Angebot an Kaufimmobilien im IHK-Bezirk Frankfurt gestiegen ist. Rund ein Drittel unserer Expert*innen beobachtet, dass Kaufinteressierte wieder verstärkt auf dem Mietwohnungsmarkt nach Immobilien suchen, knapp 21 Prozent geben an, dass sich der Suchradius zugunsten günstigerer Häuser und Wohnungen verschoben hat.
Wie haben sich die Kaufpreise für Wohnimmobilien im IHK-Bezirk Frankfurt am Main im Laufe des Jahres 2022 entwickelt?
Das lässt sich pauschal nicht beziffern. Der Immobilienmarkt zeigte im Jahr 2022 nämlich zwei Gesichter: Im ersten Halbjahr sind sowohl die Transaktionszahlen als auch die Kaufpreise für Immobilien stabil geblieben – in einigen Teilsegmenten sogar moderat gestiegen. So haben wir beispielsweise zu Jahresbeginn 2022 zunächst leichte Preissteigerungen für Reihenhäuser und kleinere Doppelhaushälften im Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis beobachtet. Bezogen auf das vierte Quartal geben rund 42 Prozent der an der Umfrage beteiligten Mitglieder der Immobilienbörse an, dass die Kaufpreise um bis zu fünf Prozent gesunken sind. Da zum einen die Kosten für energetische Sanierungsmaßnahmen in den Kaufentscheidungen eine stärkere Rolle spielen und zum anderen Kaufinteressierte aufgrund der gestiegenen Bauzinsen Abstriche machen müssen, sind auch die Preise in diesem Segment gefallen. Laut den Expert*innen wurden auch verstärkt Preisverhandlungen geführt, wodurch die tatsächlichen Verkaufspreise zum Teil zwischen 20 und 30 Prozent unter den ursprünglichen Angebotspreisen in den Immobilienportalen lagen. Anders verhielt es sich beim Neubau – aufgrund der Baukostensteigerungen konnten hier keine Preisabschläge vorgenommen werden. Inwieweit sich die eine derzeitige Kaufzurückhaltung in der kommenden Zeit fortsetzt, bleibt abzuwarten.
Nach einer Phase der Bevölkerungsstagnation wächst die Region wieder – Wie steht es aktuell um die Neubautätigkeit? 
Zunächst einmal die gute Nachricht: In den Jahren 2020 und 2021 wurden in der Metropolregion FrankfurtRheinMain mehr als 45.000 Wohnungen gebaut. Das ist zunächst ein erstaunlich gutes Ergebnis. Denn trotz Coronakrise wurde der »Takt« gehalten und kräftig Wohnraum geschaffen. Dennoch ist die Nachfrage nach „bezahlbaren” Wohnungen in der Region weiterhin groß und das Angebot zu gering. Und was wir seit Herbst 2022 bundesweit beobachten können, ist alarmierend: Von einem Rückgang der Neubauaktivitäten, einer schwindenden (Käufer-)Nachfrage nach Wohnungen, einer Energie- und Baukrise, einbrechenden Finanzierungen und von Stornierungswellen ist die Rede. Auch ein Stimmungsbild der IHK Frankfurt am Main unter in der Region ansässigen bzw. tätigen Projektentwicklungen aus Dezember 2022 bestätigt, dass rund 75 Prozent der befragten Unternehmen ihre Neubauprojekte in geringem oder erheblichem Umfang zurückstellt haben; zum Teil werden Projekte auch komplett eingestellt. Vertreter*innen der Bau- und Immobilienwirtschaft erwarten für das Jahr 2023 einen Einbruch beim Wohnungsbau. Und das in einer Zeit, in der der Wohnungsbedarf in FrankfurtRheinMain aufgrund des Bevölkerungswachstums wieder steigt und beziehbarer Wohnraum für Fach- und Arbeitskräfte dringend benötigt wird. 
Welche Maßnahmen müssen Politik und Wirtschaft ergreifen, um den Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt im IHK-Bezirk Frankfurt am Main zu begegnen?
Erstens: Die Kommunen im IHK-Bezirk sollten mehr Bauland ausweisen. Insbesondere mit Blick auf die langen Zeiträume bis aus Bauland baureifes Land wird, gilt es die Prozesse rechtzeitig in Gang zu setzen. Dabei darf es nicht nur um die Nachverdichtung bestehender Baugebiete gehen, sondern es müssen überall in der Region neue Baugebiete realisiert und umgesetzt werden. Darüber hinaus muss der vorhandene Gebäudebestand noch effizienter genutzt werden, sei es durch Nachverdichtungsmaßnahmen oder Ausbauten. 
Zweitens: Für die Investor*innen und Unternehmen der Branche führen die wohnungspolitischen Maßnahmen zu steigenden Kosten und einem erhöhten Bürokratieaufwand. Der politische Fokus sollte daher im Abbau investitionshemmender Vorschriften liegen. Zugleich müssen die Planungs- und Genehmigungsprozesse sowohl bei den Baulandausweisungen, den Baugenehmigungen aber auch bei dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur für alle Mobilitätsformen auf allen Ebenen deutlich verkürzt werden. 
 
Drittens: Deregulierung und der Abbau von Investitionshemmnissen sind das Gebot der Stunde. Bauvorschriften sollten schnellstmöglich entschlackt werden, zum Beispiel für die Bereiche Energieeinsparung, Brandschutz und Barrierefreiheit. Kommunale Satzungen und Förderrichtlinien sollten ebenfalls im Dialog mit der Wirtschaft überprüft werden, um Kosten zu reduzieren und Investitionen in den Wohnungsbau zu steigern. Insgesamt glaube ich, dass das Problem zwar bekannt ist, die Vielzahl der beteiligten Verwaltungen und Ministerien auf den verschiedenen Ebenen aber zum Teil diametrale Gesetzesentwürfe verabschieden, was in Summe dazu führt, dass mehr statt weniger Regulierung entsteht. Das hat zur Folge, dass es keine langfristige Planungssicherheit für Unternehmen, Investoren und private Eigentümer*innen gibt.