Geschichte der IHK Frankfurt

Im Rückblick auf zwei Jahrhunderte treten vor allem die gewachsene Substanz und die Vitalität der Wirtschaft vor Augen. Die Stadt Frankfurt und die Kreise Hochtaunus und Main-Taunus bilden einen der leistungsfähigsten Wirtschaftsstandorte in der Republik.


Das Erreichte ist nicht zufällig, sondern Absicht. Es ist das Ergebnis des hartnäckigen Bemühens um die besten Voraussetzungen für unternehmerische Leistung. Dazu hat die Industrie- und Handelskammer in den vergangenen zwei Jahrhunderten ihren steten Beitrag geleistet. Als "Kammer" ist dabei weniger die Organisation zu verstehen als vielmehr die vielen Tausende Unternehmerinnen und Unternehmer, die der IHK als ihrem regionalen Wirtschaftsparlament die inhaltliche Richtung und die politische Wirkungsmacht verliehen haben und ihr Woche für Woche neu verleihen. Nur mit der Tatkraft der vielen, die sich in den Gremien der IHK engagieren, die in Präsidium, Vollversammlung und Ausschüssen, als gewählte Vertreter und als Fachleute, ihr Unternehmertum bereitstellen, ist es gelungen und soll es weiter gelingen, den Wirtschaftsstandort FrankfurtRheinMain erfolgreich zu machen.

In einem Moment wie dem 200-jährigen Bestehen bietet sich die Gelegenheit, über die Institution, ihre Aufgaben und ihre Möglichkeiten zu reflektieren. Als vor 200 Jahren der Code Civil, das französische Gesetzbuch, hierzulande eingeführt wurde und die Gewerbefreiheit mit sich brachte, erhielt auch das Bürgertum zunehmend Anteil an der politischen Macht. In Frankfurt nutzte die Kaufmannschaft die Gunst der Stunde und errichtete eine Handelskammer, die erstmals selbstbestimmt und selbstverwaltet war.

Welch hohes Gut, dass die Wirtschaft sich als ein Gegenüber der staatlichen Organe aufstellte und ihre Angelegenheiten in eigener Regie regelte! Die Frankfurter gehörten zu den Ersten, die diese Selbstständigkeit in Deutschland erreichten. Seither haben sie davon guten Gebrauch gemacht. Die Autonomie der Wirtschaft ist nicht selbstverständlich. Die Gleichschaltung der Kammern unter dem totalitären Nazi-Regime hat dies schmerzlich in Erinnerung gebracht. Erst seit dem Kammer-Gesetz von 1956 ist die eigenständige Verfasstheit der IHKs wieder fest verankert. Dieses Fundament erlaubt es ihnen seither, ihre Positionen mit Nachdruck und frei von Abhängigkeiten zu artikulieren.

Wie wichtig die selbstbestimmte Artikulation ist, lässt sich an vielen aktuellen Debatten ablesen. Anders als eine von Brancheninteressen oder von parteipolitischem Kalkül geleitete Organisation ist die IHK das Sprachrohr der Vertreter der gesamten Wirtschaft im Bezirk. Die großen Unternehmen dabei zu berücksichtigen ist von Belang, sind sie doch der Motor für Aufträge und Lieferungen vieler anderer Mitgliedsunternehmen. Den wirtschaftspolitischen Weg bestimmen dabei Konzerne, die zahlreichen mittelständischen Unternehmen und die zahllosen kleinen Betriebe, die Selbstständigen und die Existenzgründer. Sie alle haben in der IHK ihre Stimme, und sie prägen in gleichem Maße die Meinungsbildung. Ohne diese Verfasstheit der Kammer und Einheitlichkeit wären viele unternehmerische Anliegen kaum durchsetzbar.Der formulierte Anspruch und die tatsächliche Leistung der IHK müssen übereinstimmen. Wo sollte die IHK ihre Möglichkeiten noch stärker nutzen?

Die IHK agiert bereits heute als Dienstleister und muss dieses Angebot weiter ausbauen. Als Beispiele dafür erwähne ich die Existenzgründer-Beratung, die Foren für den branchenspezifischen Informationsaustausch und Initiativen etwa zur verstärkten Nutzung von Online-Instrumenten in Produktion und Verwaltung. Die durchweg gute Resonanz auf diese und andere Angebote gibt beredte Kunde vom Bedarf der Mitglieder an derartigen Leistungen.

So sehr das Angebot auch Nachfrage findet, kann sich die IHK doch nicht zufriedengeben. Die Anforderungen an die Unternehmen wachsen stetig, und gleichermaßen steigen die Erwartungen der Mitglieder an die Dienstleistung einer Industrie- und Handelskammer. Die IHK muss daher Vorreiter sein beim Aufspüren von unternehmerischem Bedarf, sie muss Impulsgeber sein für diejenigen, die sich den Schritt ins Unternehmerdasein vornehmen, und sie muss Unternehmerinnen und Unternehmen wo nötig ertüchtigen, die Signale aus den Märkten richtig zu lesen und in eigenes Handeln zu übersetzen. Die IHK muss vorne sein bei der Erkundung von Potenzialen für die regionale Wirtschaft, sie muss ehrgeizig sein bei der eigenen Leistungsgüte, und sie muss nachhaltig sein in der Vermarktung ihrer Angebote.

Die IHK Frankfurt ist eben nicht irgendeine Institution oder ein Verband. Sie ist der Dienstleister und Impulsgeber für eine wirtschaftliche Metropolregion mit höchstem Anspruch!Dieser Anspruch gilt für die IHK Frankfurt auch in den anderen Tätigkeitsfeldern. Als Plattform der öffentlichen Meinungsbildung der Wirtschaft und als Ansprechpartner für die Wirtschaftspolitik muss die IHK Frankfurt mit Stellungnahmen und Studien weiterhin klare Positionen beziehen, sei das beim Flughafenausbau, bei der Planung von Verkehrswegen, beim Ausweis von Einzelhandelsflächen und sonstigen städtebaulichen Projekten. In ihrer politischen Arbeit wird die IHK auf keinen Fall neutral sein, vielmehr tritt sie vehement und parteiisch für die Belange der Unternehmen und der Wirtschaft in der Region ein.

Welches Profil wird die IHK der Zukunft haben? Ich bin überzeugt, dass sie wie bisher ein selbstbestimmter Wirtschaftsorganismus sein wird, der die Unternehmenslandschaft mit gestaltet, weil er sich konsequent und professionell für die richtigen Rahmenbedingungen und für erfolgreiches Wirtschaften einsetzt. Die IHK darf jedoch keine engstirnige Lobby-Organisation der Wirtschaft sein. Als gesetzlich begründete Organisation ist sie dem Gemeinwohl und der Gesamtheit der Wirtschaft in unserer Region verpflichtet. Gemeinwohl bedeutet, eine zukunftssichere Verfasstheit von Wirtschaft und Unternehmertum zu verfolgen. Gerade als Vertreter des Genossenschaftswesens weiß ich, dass dauerhaft erfolgreiches Wirtschaften nur durch die Nutzenstiftung für die Gemeinschaft gelingt.

Wenn in unserer Zeit von Unternehmern zunehmend wieder Werte gefordert werden, können wir mit dem Leitbild des "ehrbaren Kaufmanns" bestens darauf antworten. Dieser Kaufmann folgt den Werten der Gemeinschaft, in der das Unternehmen agiert. "Ehrbarer Kaufmann" wird nicht derjenige mit der höchsten Eigenkapitalrendite, sondern derjenige mit dem dauerhaften Erfolg für sein Unternehmen, seine Mitarbeiter und die Kunden. Liebe Leserinnen und Leser, in den nächsten Jahren müssen im IHK-Bezirk eine Reihe von Weichen gestellt werden, die den künftigen Stellenwert der Region FrankfurtRheinMain mit bestimmen werden. Ich möchte einige Themen anschneiden, die meines Erachtens besondere Bedeutung haben werden.

Die Wirtschaftsmetropole FrankfurtRheinMain muss sich verstärkt als einheitlicher Standort definieren und präsentieren. In den vergangenen Jahren haben sich die Standortqualitäten markant verbessert, und zugleich haben sich viele Standort-Initiativen gebildet. Dennoch ist es der Region noch nicht gelungen, mit einem griffigen Profil nach außen aufzutreten. Im Marketing ist die Summe noch nicht so stark wie die einzelnen Teile. Die Verdichtung der wirtschaftlichen Profile und die Signalwirkung von kulturellen Attraktionen sind ebenso erforderlich. Als Unternehmerinnen und Unternehmer in FrankfurtRheinMain müssen wir mit noch mehr Nachdruck den Wettbewerb mit anderen Standorten annehmen. Zukunft wächst aus dem Bestehenden. Die Attraktivität einer Wirtschaftsregion zu mehren ist kein Selbstzweck, sondern ist Grundlage für die Sicherung von qualifizierten Mitarbeitern, den Erhalt der qualitativen Infrastruktur und den Ausbau unternehmerischer Innovationen.

Auch in anderen Handlungsfeldern müssen die richtigen Ziele angesteuert werden. Der Verkehr ist die Lebensader von FrankfurtRheinMain. Sie darf auf keinen Fall verengt werden, sie muss mit dem Pulsschlag der Region wachsen. Der Finanzplatz ist der Leuchtturm. Im internationalen Wettbewerb ist er unser wichtigstes Aktivum, also ist er ein primäres Anliegen.

Die Industrie ist unser Rückgrat. Sie bündelt unser Wissen und erneuert unsere Fertigkeiten. Wir müssen ihr gut geschulte Mitarbeiter geben und globale Netzwerke für Innovationen knüpfen.

Der Handel ist der Antrieb der Neuheiten. In einer Verbraucherregion mit international geprägten Erwartungen müssen wir zunehmend mehr Kreativität einsetzen, um den Bedarf jederzeit sinnvoll zu bedienen.Wissensqualität ist der Bodenschatz unserer Region. Mit aller Kraft müssen wir daran arbeiten, müssen fordern und fördern, wetteifern und beschleunigen.

Natur und Umwelt sind ein Versprechen. In 100 Jahren und mehr müssen die nächsten Generationen von Unternehmerinnen und Unternehmern, von Mitarbeitern und Mitbürgern von unserem umsichtigen Umgang profitieren. Politik und Bürger sind unsere Partner. Wir sind ehrbare Kaufleute und fordern gebührende Beachtung der Erfordernisse der Wirtschaft.

Zum Abschluss gilt es einen Dank auszusprechen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der IHK für ihren engagierten und konsequenten Einsatz wie an all diejenigen, die sich als Mitglieder und als gewählte Gremienvertreter unentgeltlich in den Dienst der IHK stellen. Manche tun dies seit vielen Jahren und mehreren Wahlperioden. Viele Tausende nehmen jedes Jahr die IHK-Prüfungen ab, viele Hunderte geben ihr Wissen in Seminaren und Netzwerken weiter. Ich ermuntere Sie, sich bei der Wahl im kommenden Jahr beziehungsweise für die anstehenden Aufgaben in der IHK weiter zur Verfügung zu stellen. Und ich ermutige alle, die sich erstmals mit der IHK befassen, sich mit ihrem Unternehmertum und ihrem Wissen hier einzubringen. Der Erfolg der Unternehmen im IHK-Bezirk sind der Wert, zu dem Sie damit beitragen.


Hans-Joachim Tonnellier
Präsident der IHK Frankfurt am Main (2007-2009)