Erkrankung eines Arbeitnehmers

Arbeitnehmer haben grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 100 % bis zur Dauer von sechs Wochen. Die gesetzliche Grundlage bildet das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), das u.a. die Entgeltfortzahlung im unverschuldeten Krankheitsfall regelt.


1. Anforderungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes

Voraussetzung für das Entstehen des Entgeltfortzahlungsanspruches ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Dazu zählt auch ein Berufsausbildungsverhältnis, ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. Der Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe von 100 % entsteht nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Eine Erkrankung führt dann zur Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer durch diese daran gehindert ist, die zu erbringende Arbeitsleistung zu erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer, nur unter der Gefahr einer Verschlimmerung seines Zustandes arbeiten kann. Ob eine Krankheit zugleich die Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht, hängt von der Art der Erkrankung und der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Leistung ab. Der Arzt stellt die Arbeitsunfähigkeit fest und bescheinigt sie in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur, wenn zum einen die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall bildet und die Krankheit nicht vom Arbeitnehmer verschuldet ist. Ein solches Verschulden ist nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer grob gegen das im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt, z.B. grob fahrlässige Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften, grob verkehrswidriges Verhalten im Straßenverkehr. Sport- und Freizeitunfälle gelten im Allgemeinen als nicht verschuldet. Die Missachtung von Straßenverkehrsregeln stellt ebenfalls kein Verschulden dar. Erst bei einem grob fahrlässigen Verhalten entfällt der Anspruch nach Entgeltfortzahlungsgesetz. In Betracht kommt bspw. Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprechanlage.


2. Höhe und Dauer des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts

Wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % des ihm im maßgeblichen Zeitraum zustehenden Arbeitsentgelts. Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist ein Bruttoanspruch: Wie bei der normalen Vergütung sind Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Gerichtlich geklärt ist inzwischen auch, dass der Arbeitgeber den tariflichen Mindestlohn auch für die Fehlzeiten bedingt durch eine Arbeitsunfähigkeit zu zahlen hat. Der Anspruch besteht längstens bis zur Dauer von sechs Wochen oder wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Krankheit gekündigt hat, sog. Anlasskündigung. Danach bezahlt die Krankenkasse Krankengeld. Erkrankt ein Arbeitnehmer innerhalb von zwölf Monaten - gerechnet seit dem Beginn der ersten Erkrankung - wiederholt an derselben Krankheit, so werden die Arbeitsunfähigkeitszeiten zusammengerechnet, bis die Anspruchszeit von sechs Wochen verbraucht ist (Fortsetzungserkrankung). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer zwischen den einzelnen Erkrankungen mehr als sechs Monate arbeitsfähig war. Dann entsteht der sechswöchige Entgeltfortzahlungsanspruch neu.
Für Arbeitgeber ist es schwierig zwischen einer Fortsetzungserkrankung und einer neuen Erkrankung zu unterscheiden, da er über die Ursache nicht durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung informiert wird. Arbeitgebern ist zu empfehlen, sich bei gesetzlich Versicherten bei der zuständigen Krankenkasse zu erkundigen, ob eine Fortsetzungskrankheit vorliegt. Verweigert der Arbeitnehmer die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht, hat der Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht.


3. Arbeitsunfähigkeit durch Dritte verursacht

Hat ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit durch eine gegen den Arbeitnehmer gerichtete unerlaubte Handlung schuldhaft verursacht (z.B. Verkehrsunfall), so besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber unabhängig von etwaigen Schadensersatzansprüchen gegen den Dritten. Der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Ersatzpflichtigen geht kraft Gesetzes in der Höhe auf den Arbeitgeber über, in der dieser die Entgeltfortzahlung leistet.


4. Anzeige- und Nachweispflichten

Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Krankheit arbeitsunfähig, so hat er dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Unverzügliche Mitteilung bedeutet am ersten Tag der Erkrankung zu Arbeitsbeginn bzw. in den ersten Arbeitsstunden und noch vor einem evtl. Arztbesuch. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, so hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Allerdings kann der Arbeitgeber eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unter Umständen zu einem früheren Zeitpunkt – sogar bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit - verlangen. Dies gilt insbesondere bei einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung. Der Arbeitnehmer muss eine neue Bescheinigung vorlegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger andauert, als in der ärztlichen Bescheinigung zunächst vorgesehen. Verletzt ein Arbeitnehmer trotz vorheriger Abmahnung wiederholt seine Anzeigepflicht, kann dies eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch wird durch eine solche Pflichtverletzung nicht beeinträchtigt.

Änderungen aufgrund des Bürokratieentlastungsgesetzes und der Digitalisierung des “gelben Scheins”. Seit dem 1. Januar 2023 müssen gesetzlich versicherte Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1a EFZG grds. keinen "gelben Schein" mehr bei ihrem Arbeitgeber einreichen. Die Arbeitsunfähigkeitsdaten übermittelt vielmehr der Arzt elektronisch an die Krankenkasse. Aus den Daten wird eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung generiert. Diese kann der Arbeitgeber dann automatisiert bei der zuständigen Krankenkasse abrufen. Es bestehen jedoch Ausnahmen, z. B. für privat krankenversicherte, für im Ausland festgestellte Arbeitsunfähigkeit, für Eltern – die sich um ein erkranktes Kind kümmern müssen, bei Wiedereingliederung, bei einem Beschäftigungsverbot, bei Rehabilitationsleistungen und bei geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten. Unabhängig davon bleibt die Pflicht, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, weiterhin bestehen.
Eine umfangreiche Verfahrensbeschreibung, die auch Arbeitgeber beim laufenden Betrieb unterstützen soll, finden Sie auf den Seiten des GKV-Spitzenverbands


5. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit

Der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung kommt zunächst ein sehr hoher Beweiswert zu. Ärzte müssen die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit an der konkreten Arbeitsaufgabe des Arbeitnehmers messen. Hierfür hat eine präzise Abfrage durch den Arzt zu erfolgen. Unterbliebt sie, hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zweifel keine Beweiskraft. Vor diesem Hintergrund kann eine Nachfrage des Arbeitgebers beim Arzt unter Umständen sinnvoll sein. Außerdem kann jeder Arbeitgeber, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestehen, verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Der Medizinische Dienst ist eine eigenständige Institution, die mit den Krankenkassen zusammenarbeitet. Durch ein entsprechendes Gutachten des Medizinischen Dienstes kann der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden. Das Gesetz vermutet das Bestehen von Zweifeln dann, wenn Versicherte auffällig häufig und auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag nach Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit aufgefallen ist. Der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann aber auch durch Indizien wie eine schichtweise Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber, unzulässige Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder mehrere unterschiedliche von verschiedenen Ärzten ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert werden.


6. Aufenthalt im Ausland

Hält sich der Arbeitnehmer zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit im Ausland auf, so gelten für die Benachrichtigungs- und Bescheinigungspflicht Besonderheiten. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber von seiner Arbeitsunfähigkeit auf dem schnellstmöglichen Weg zu informieren. Ist der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert, so muss er auch seine Krankenversicherung informieren. Er hat diese auch zu benachrichtigen, wenn die angezeigte Arbeitsunfähigkeit länger dauert als erwartet. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer hat sowohl seinen Arbeitgeber als auch seine Krankenkasse unverzüglich davon zu benachrichtigen, dass er ins Inland zurückgekehrt ist.

7. Betriebliches Eingliederungsmanagement

Um die Arbeitsfähigkeit von mehr als 6 Wochen im Jahr erkrankten Arbeitnehmern wiederherzustellen, ist der Arbeitgeber zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet. Er muss aktiv auf den erkrankten Mitarbeiter zugehen und klären, ob Maßnahmen ergriffen werden können, die eine dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses fördern. Die Teilnahme daran ist freiwillig.

8. Arbeiten trotz Arbeitsunfähigkeit

Kann der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit nicht im geschuldeten Umfang erbringen, ist er arbeitsunfähig. Eine Teilarbeitsfähigkeit gibt es nicht. Bietet der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Teilleistung anzunehmen. Hat der Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt, kommt eine Beschäftigung in der Regel nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer – sei es auch Angst vor einem Arbeitsplatzverlust – die Arbeit aufnehmen möchte. Dem Arbeitgeber obliegt eine Fürsorgepflicht. Sie besteht auch gegenüber den anderen Arbeitnehmern (Ansteckungsrisiko).
Findet dennoch eine Beschäftigung statt, gilt zunächst, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.
Fühlt sich der Arbeitnehmer arbeitsfähig, ist er verpflichtet, die Arbeit vorzeitig wieder aufzunehmen bzw. den Arzt über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit entscheiden zu lassen. Eine Gesundschreibung ist nicht erforderlich.  Arbeitgeber können die Arbeitnehmer auffordern sich von einem Arzt bescheinigen zu lassen, dass sie wieder arbeitsfähig sind. Die Verpflichtung zur Vorlage einer solchen Bescheinigung ist umstritten. Lehnt ein Arbeitgeber ohne eine derartige Bescheinigung die Beschäftigung ab, besteht für ihn das Risiko, dass er evtl. Entgeltfortzahlung leisten muss.

9. Krankheit als Kündigungsgrund

Krankheit ist nur unter besonderen Voraussetzungen ein Kündigungsgrund. Eine Kündigung wegen Krankheit ist dann sozial gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann, die von der Krankheit ausgehenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen (Störung des Arbeitsablaufs, wirtschaftliche Belastung), noch länger hinzunehmen. Ein unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement steht einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch dieses nicht hätte verhindert werden können.